05.12.2011 – Reisebericht: Tamil Nadu

Ein unvergesslicher Tag in Trichy! Heute lerne ich das wahre Indien kennen…
Am fünften Tag unserer Südindienrundreise wache ich etwas muffelig auf und wünsche mir insgeheim einen gemütlichen Tag – Lesen – Faulenzen – erst einmal eine Pause vom indischen Stadtgewusel. Aber sobald ich in unseren Privat-Wagen einsteige und sowohl unser sympathischer Fahrer Oswald als auch unsere Reiseleiterin mich anstrahlen, vergesse ich die morgenmuffeligen Gedanken. Was ich jetzt noch nicht weiß: Heute wird der spannendste und unvergesslichste Tag auf meiner Südindien-Rundreise!

Trichy hat bei Weitem mehr zu bieten, als der erste Eindruck hergibt. In diesem Ort versteckt sich nämlich das sensationelle „echte Indien“! Um das hautnah mitzuerleben, lohnt sich ein Besuch allemal! Unser erster Stopp ist der heilige Fluss Kaveri. Mein erster Gedanke: „Was wird es an einem Fluss schon so Interessantes zu sehen geben, außer Wasser und vielleicht ein paar Fischer…“ Weit gefehlt! Kaum am Ghat (Ufer) angekommen, steigen einem die „echten indischen Gerüche“ von Kardamom und Zitronengrass in die Nase. Nur eine Ecke weiter lande ich auf einmal zwischen Massen von Menschen, die gerade Ihre hinduistischen Rituale am Flußufer des heiligen Wassers vollziehen. Ein hübsch angemalter Elefant segnet die Menschen, in dem er sie einmal mit dem Rüssel auf den Kopf stupst. Sagenhaft, was sich hier abspielt! Und schwupps, erhalte auch ich einen heiligen Elefantenstups.

Wie ich sprachlos mit meiner Kamera umherstreife, begegne ich einem Brahmanen Priester strengen Tones, der auf dem Boden sein buntes „Gebetslager“ neben vielen anderen aufgebaut hat: „Sit down – Sit- Sit down“, „No shoes – No – Shoes Out“, „Yes – Sit down now – now SIT DOWN!“ Etwas verdattert lasse ich mich sofort, nachdem ich meine Schlappen stehen gelassen habe, auf sein Holzbrett nieder, werde besungen und habe innerhalb von Sekunden die bunten Fingerabdrücke des Priesters auf der Stirn. Zum krönenden Abschluss werde ich mit Reiskörnern beworfen, von denen ich auch nachmittags immer wieder einen an mir kleben finde. „Best wishes for you and your family“ – übersetzen mir die zwei netten Nachbarpriester auf Englisch und lachen mich warmherzig an. Stolz lassen sie sich fotografieren und wackeln beschämt und typisch indisch mit dem Kopf, als ich ihnen das Foto zeige. „Thank you“ und noch fünf Mal „Thank you“ – jeder mag hier wohl gerne das letzte charmante Wort haben…

Am Wasser, wo es übrigens auch Krokodile geben soll, beobachte ich die Waschungen und Gebetsrituale vieler bunter Menschen. Direkt daneben waschen sich einige eifrig mit einer Überdosis an Seifenschaum. Wiederum daneben steht ein langhaariger Asket mit Smartphone am Ohr – Tradition und Moderne mischen sich ganz offensichtlich in Indien. Es ist wie ein Traum, dies alles mitzuerleben! Sprachlos bestaune ich auch eine Zeremonie, wie ein junges Ehepaar bei einem Priester um ein weiteres Kind betet. Eine schwarze Figur wird immer wieder mit Milch begossen, der Priester singt, der daneben streut Blumen und singt mit. Alle halten die Hände auf die Figur und konzentrieren sich aufs Gebet. Was für ein mystischer Ort! Hätte uns unsere sympathische Reiseleiterin nicht höflich darauf hingewiesen, dass es langsam Zeit sei, sich zum Tempel zu bewegen, ich denke, wir hätten diesem Geschehen noch Stunden zuschauen können.

Aber zum Glück laufen wir weiter, denn kaum erlischt der Gebetsgesang aus den Ghats, hört man wieder neue Musik – eine indische Hochzeit! Oh wie aufregend! Der zelt-artige Raum ist mit Plastikstühlen gefüllt, die wiederum voll besetzt sind mit Frauen in herrlich bunten Saris und den dazugehörigen Männern. „Jeder kann rein und zugucken“ – sagt unsere Reiseleiterin und ermutigt uns, still und leise an den Rand zu schleichen, um dieses einmalige Erlebnis mitzubekommen. Auf der Bühne findet die Hochzeit statt und die Bühne ist mit großen Licht-Schirmen beleuchtet, damit der Hochzeitsfotograf auch schöne Bilder knipsen kann. Eine einheimische Band mit Trommel und Klarinette-ähnlichen Blasinstrumenten duselt den musikalischen Hintergrund. Plötzlich wird unsere Reiseleiterin ganz hibbelig, denn es werde gerade in diesem Moment der Knoten gebunden (vergleichbar mit dem Austausch der Ringe). Die Braut sitzt dabei auf dem Schoss des Vaters.

Dann großes Getöse, Singen und Musik, das Publikum jagt zur Bühne und wirft Blumenblüten auf die Hochzeitsgemeinschaft! Gänsehaut und Tränen in den Augen – so berührt bin ich in diesem Augenblick! Verglichen mit deutscher Hochzeitstradition ist diese Zeremonie unglaublich ausdrucksstark! Auf dem Weg nach draußen strahlt uns ein Inder an und drückt uns einen Umtrunk in die Hand – nein, natürlich kein Sekt – ein Minipappbecher mit einem Schluck Fanta – genauso knall-orange wie auch die Hochzeitsdekoration des Raumes. Wieder einmal ein rührender Moment!

Von hier aus geht es zu den Tempelanlagen Trichys. Sofort fallen mir die 20 Inder auf, die im Schneidersitz in einer Reihe fein säuberlich nebeneinander sitzen. Alle bekommen hier heiliges Essen – gratis. Auch unsere Reiseleiterin entschuldigt sich für einen Moment und kommt freudestrahlend mit Ihrem „Lunchpaket“ zurück. Ein Tempel ähnelt hier einem Park, wie wir ihn aus Deutschland kennen. Die Gläubigen sitzen in Grüppchen zusammen und lachen, machen ein Nickerchen oder kaufen bei den bunten Marktständen heilige Souvenire ein.  Es herrscht ein gemeinschaftliches und heiteres Ambiente, sehr angenehm.

Hier in Indien wird einem bewusst, was ein Lächeln alles bewirken kann. Auf den ersten Blick gucken die Menschen hier oft etwas finster, lächelt man sie aber an, bekommt man sofort ein strahlendes und warmherziges Lächeln zurück!  Gefüllt mit einzigartigen Eindrücken geht unsere Zeit in Trichy zu Ende und wir machen uns auf den Weg nach Chettinad – ein Dorf, wo wiederum zahlreiche Überraschungen auf uns warten….

von Nora Schüßler, Trichy, 5.12.2012